Die Digitalisierung hat die berufliche Weiterbildung fest im Griff, und die regulatorischen Rahmenbedingungen ziehen nach. Mit den am 1. Juli 2025 in Kraft getretenen Empfehlungen des AZAV-Beirats hat die Bundesagentur für Arbeit eine grundlegende Neuausrichtung für digitale und hybride Lernformate vorgegeben. Für Bildungsträger bedeutet dies eine Zäsur: mehr Flexibilität in der Konzeption, aber auch höhere Anforderungen an Dokumentation, Kalkulation und Qualitätssicherung. Dieser Artikel analysiert die wichtigsten Änderungen und bietet einen praxisnahen Leitfaden für die erfolgreiche Umsetzung.

Der Kern der Reform: Eine neue Definition von Unterricht

Die vielleicht wichtigste Neuerung ist die präzise Definition des Begriffs „Unterricht“. Sie schafft eine klare Abgrenzung zwischen synchroner Interaktion und asynchronen Selbstlernphasen. Diese Unterscheidung ist die Grundlage für alle weiteren Änderungen in der Konzeption und Kalkulation von Maßnahmen.

Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass jederzeit eine direkte, unmittelbare Interaktion zwischen Lehr- und Fachkräften und Teilnehmenden möglich ist. Während der gesamten Maßnahmedauer erfolgt die Begleitung durch Lehrkräfte in einem synchronen Informationsaustausch.

Was im Umkehrschluss nicht als Unterricht im Sinne der AZAV gilt, sind Phasen, in denen diese synchrone Interaktion fehlt. Dazu gehören beispielsweise reine Selbstlernphasen ohne Live-Betreuung, die Bearbeitung von Lehrbriefen, die Nutzung von „Learning Nuggets“ ohne direkte Ansprechperson oder Kontaktmöglichkeiten, die nur über Foren oder zeitversetzte Hotlines bestehen.

Die neuen Durchführungsformen im Überblick

Basierend auf der neuen Unterrichtsdefinition wurden die Durchführungsformen klar strukturiert. Bildungsträger müssen ihre Maßnahmen nun einem dieser drei Formate zuordnen:

Durchführungsform Definition Merkmale
Präsenzmaßnahme Vollständig in physischer Anwesenheit aller Beteiligten. Klassischer Frontal- oder Gruppenunterricht vor Ort.
Digitale Maßnahme Vollständig über digitale Medien (z.B. virtuelle Klassenzimmer). Erfordert während der gesamten Unterrichtszeit eine synchrone Interaktionsmöglichkeit.
Kombinierte (hybride) Maßnahme Enthält sowohl Präsenz- als auch digitale Unterrichtsanteile. Ermöglicht flexible Lernkonzepte, die das Beste aus beiden Welten verbinden.

Asynchrone Lernanteile: Die neue Flexibilität hat klare Regeln

Die größte Chance, aber auch eine der größten Herausforderungen, liegt im neuen Umgang mit asynchronen Lernanteilen. Diese sind nun offiziell als Bestandteil von Maßnahmen anerkannt, unterliegen aber strengen Vorgaben.

Die wichtigsten Regeln für asynchrone Anteile:

1. Keine Unterrichtszeit: Asynchrone Phasen werden nicht als Unterrichtsstunden gezählt. Sie müssen im Maßnahmekonzept und auf dem Zertifikat gesondert ausgewiesen werden, ähnlich wie betriebliche Lernphasen.

2. Pädagogisches Konzept erforderlich: Träger müssen detailliert darlegen, wie diese Selbstlernphasen pädagogisch in das Gesamtkonzept eingebettet sind, wie der Lernerfolg sichergestellt wird und welche Form der Betreuung (z.B. feste Sprechstunden) zur Verfügung steht.

3. Neue Kalkulationslogik: Die Kosten für die Erstellung und Betreuung asynchroner Inhalte können in die Gesamtkosten der Maßnahme einfließen. Der Kostensatz pro Stunde wird jedoch ausschließlich auf Basis der synchronen Unterrichtsstunden berechnet. Die Formel lautet:
Gesamtkosten (inkl. Kosten für asynchrone Anteile) / Anzahl der synchronen Unterrichtsstunden = Kosten pro Unterrichtsstunde

4. Ausnahmen: Aufgrund ihres intensiven Betreuungscharakters können Maßnahmen der Ganzheitlichen Betreuung (GaBe) nach § 16k SGB II keine asynchronen Anteile enthalten.

Verschärfte Anforderungen an Audits und Zertifizierung

Die neuen Empfehlungen nehmen auch die Fachkundigen Stellen in die Pflicht. Bei der Auditierung von Trägern, die digitale oder hybride Maßnahmen anbieten, müssen diese Lernformate gezielt geprüft werden.

Gezielte Stichproben: Das Merkmal „digitale Maßnahme“ muss bei der Auswahl der zu prüfenden Referenzmaßnahmen berücksichtigt werden. Ein reines „Abwählen“ digitaler Maßnahmen im Audit ist nicht mehr möglich.

Fokus der Prüfung: Besondere Prüfbereiche sind die technische Ausstattung, der Datenschutz, die didaktische Konzeption der Online-Lernformate und die Qualifikation der Lehrkräfte für den digitalen Unterricht.

Strategische Einordnung: Chancen und Herausforderungen

Die neuen Empfehlungen kommen zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Bildungslandschaft durch verschiedene Reformen im Umbruch befindet. Die Bürgergeld-Reform 2025 verschärft den Druck auf Arbeitsuchende und erhöht damit auch die Anforderungen an die Qualität und Flexibilität von Bildungsmaßnahmen.

Für AZAV-zertifizierte Coaches und Berater eröffnen die neuen Regelungen interessante Möglichkeiten, ihre Angebote flexibler zu gestalten und gleichzeitig die Qualitätsstandards zu erhöhen. Besonders im Bereich der individuellen Betreuung können asynchrone Elemente sinnvoll eingesetzt werden, um den Lernprozess zu intensivieren.

Checkliste: Sind Sie bereit für die AZAV 2025?

Die neuen Empfehlungen sind seit dem 1. Juli 2025 in Kraft. Bildungsträger sollten umgehend prüfen, ob ihre Konzepte und Prozesse den neuen Anforderungen entsprechen. Die folgende Checkliste hilft bei der Umsetzung:

Maßnahmekonzepte analysieren: Entsprechen die Definitionen von Unterricht und die Durchführungsformen den neuen Vorgaben?

Asynchrone Anteile identifizieren und dokumentieren: Wo gibt es Selbstlernphasen? Sind diese pädagogisch sauber eingebettet und als solche ausgewiesen?

Kalkulationen überprüfen: Werden die Kosten für asynchrone Anteile korrekt auf die synchronen Stunden umgelegt?

QM-Handbuch anpassen: Sind die neuen Prozesse und Definitionen in Ihrem Qualitätsmanagementsystem verankert?

Personal schulen: Kennen Ihre Dozenten, Coaches und Verwaltungsmitarbeiter die neuen Regeln?

Zertifikate und Werbematerialien prüfen: Werden asynchrone Anteile korrekt und transparent ausgewiesen?

Fazit: Ein Paradigmenwechsel mit Chancen

Die neuen AZAV-Beiratsempfehlungen markieren einen Paradigmenwechsel. Sie beenden die Grauzone bei digitalen Lernformaten und schaffen einen klaren, wenn auch anspruchsvollen Rahmen. Für Bildungsträger bedeutet dies zunächst einen erhöhten administrativen Aufwand. Langfristig bieten die neuen Regeln jedoch die Chance, innovative und flexible Bildungsangebote zu entwickeln, die den Bedürfnissen einer modernen Arbeitswelt gerecht werden.

Träger, die sich schnell und professionell auf die neuen Anforderungen einstellen, werden ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken und sich als Qualitätsführer im digitalen Bildungsmarkt positionieren. Dabei ist es wichtig, nicht nur die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen, sondern die neuen Möglichkeiten kreativ zu nutzen, um echten Mehrwert für die Teilnehmenden zu schaffen.


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